Die kurze Geschichte einer unendlichen Reise

Buenos-Aires-Argentinien-March

Buenos Aires/Argentinien am 29. März 2020

Als ich im Juni 2018 zu der Reise aufbrach, wusste niemand wo und wann sie enden würde. Selbst ich nicht. „Seidenstraße, Iran, Persepolis“, so meine vage Antwort auf die Frage wo’s denn hin geht. „Wann ich zurückkomme?“ – „Ich kann euch genau sagen wann ich losfahre, aber ich kann euch nicht sagen, wann ich zurückkommen.“
Jetzt sitze ich nach zwei Jahren und einmal „rund um die Welt“ in Buenos Aires fest. Covid 19 hat meine BMW 800 GS und mich nach mehr als 100.000 gefahrenen Kilometern ausgebremst. Es war von Anfang an eine Reise mit Open End, bis zuletzt. Ich warte auf einen Platz im Flieger des Auswärtigen Amtes, der die gestrandeten Deutschen nach Hause fliegen soll. Wieder weiß niemand, auch ich nicht, wann ich zurückkomme. Was ich weiß ist, dass eine faszinierende Reise hinter mir liegt, reich an Erlebnissen, Begegnungen und Bildern. Diese Erinnerungen nimmt mir keiner mehr – auch nicht Covid 19.

Als ich für vier Tage im Kloster Zarzma in Georgien lebte, fragten mich die Mönche „What are you looking for?“ Darauf hatte ich damals keine Antwort.

Also fuhr ich weiter über traumhafte Pässe im Kaukasus, durch den bezaubernden Iran, mit seiner überwältigenden Gastfreundschaft, bis nach Persepolis. Unterm Helm hast du viel Zeit zum Nachdenken. Die Frage der Mönche, was ich denn suche, beschäftigte mich lange. Aber ich fand keine Antwort. Im Himalaya sagten mir tibetanische Mönche: „Wenn du es gefunden hast, weißt du wonach du gesucht hast.“ Damit konnte ich gut leben.Der Himalaya war im wahrsten Sinne des Wortes ein Höhepunkt auf meiner Reise. Karakorum Highway, Kardun La und andere Pässe gehen hoch hinauf. Über 5.000 m wird die Luft dünn, aber die Sicht klarer. In Daramsala im Norden Indiens, habe ich dem Dalai-Lama zugehört, wie er über das Leben, das Glück und die „Compassion“ philosophierte. ‘Mitgefühl’ ist eine schwache Übersetzung dafür, aber gemeint ist, sich weniger um sich selbst als um andere zu kümmern. Ich begann die Welt mit anderen Augen zu sehen. Indien war für mich das mystische Zentrum des Universums.In Varanasi werden täglich 200 die Leichen von Hindus verbrannt und die Reste in den Ganges gekehrt. Trotzdem waschen die Gläubigen täglich Wäsche und sich selbst in der vergifteten Brühe. In Vrindavan, dem Zentrum der Harekrishna-Bewegung, trifft man auf Europäer, die in Orange gekleidet und mit verklärtem Blick der westlichen Zivilisation entkommen sind. War der Buddhismus noch einfach und plausibel auf das alltägliche Leben unter uns Menschen zu übertragen, konnte ich keinen Zugang zum Hinduismus mit seinen mehr als 1.000 Göttern finden. Allerdings war das Geschehen spektakulär zum Anschauen und dankbar zu fotografieren.Nepal war großartig. Menschen und Landschaften gleichermaßen; vor allem Pokara hat mir sehr gut gefallen.Weiter ging es durch das alte Königreich Sikkim – ein absoluter Geheimtipp für Motorradreisende – Asam, Nagaland und Manipur nach Myanmar. Mit dem eigenen Fahrzeug kommt man nur mit Genehmigung, in Begleitung eines Guides und einer festen Route durchs Land. Fünf Tage und vier Nächte waren viel zu kurz, allerdings ausreichend, um das Land auf der zukünftigen Urlaubsliste ganz nach oben zu setzen.Südostasien mit Thailand, Kambodscha, Malaysia und Sumatra/Indonesien waren unglaublich interessant und traumhaft schön. Die im Alltag gegenwärtige Kultur und Religion, die Küche, die Menschen mit ihrer ins Gesicht geschriebene Lebensfreude und das cruisen durch Landschaften wie aus dem Bilderbuch, sind unvergesslich.Mit einem südostasischen Lächeln im Gesicht wurde ich dann über Adelaide in Australien gewissermaßen abgeworfen. Supermärkte, Hochhäuser, Menschen im perfekten Outfit, das war dann doch ein Kulturschock nach Monaten in armen Ländern.Es dauerte eine Weile, bis ich die Seele Australiens fand; nicht in Melbourne oder Sydney, nicht an der Grant Ocean Road oder in den Blue Mountains. Versteht mich bitte nicht falsch, das sind beeindruckende Spots, keine Frage; aber die Seele Australiens entspringt im Landesinneren, dem Outback, am Uluru (alias Ayers Rock), dem heiligen Berg der Aborigines.
Ich habe die Größe Australiens unterschätzt. Allein die Strecke von Alice Springs im Herzen des Landes, bis Darwin im Norden, ist scheinbar unendlich. „A lot of nothing“.
Auf der Strecke und unterm Helm wirst du entweder blöd oder philosophisch hat mir ein Biker in einem Roadhouse erzählt. Ich entschied mich für Letzteres.
Weil es in Australien eine merkwürdige Visabestimmung gibt, musste ich nach drei Monaten das Land verlassen. Also bleibt mein Motorrad in Darwin und ich fliege schnell und günstig nach Bali. Für zehn Tage nochmal in die Welt der Götter eintauchen. Bali ist für Australien, was Mallorca für uns Deutsche ist.
Nach diesem Kurzurlaub sattele ich mein Steelhorse wieder und fahre nach Westen. Die komplette Westküste runter nach Perth. Was für ein Ritt. Entlang der schönsten Strände und durch faszinierende Nationalparks. Mir gefällt die Westküste weit besser als die Ostküste. Aber das ist Geschmackssache. Fakt ist, dass es im Westen weniger Touristen gibt.
Von Perth geht es weiter durch die weite Nullabor Ebene nach Melbourne, wo für mich und mein Motorrad das Flugzeug nach Vancouver/Kanada wartet. Ich habe in Australien viele gute Freunde und ihr Lebensgefühl liebgewonnen. No worries mate! Spätestens jetzt war allen klar, dass aus dem Reiseziel Seidenstraße eine ‘Round the World Tour’ werden sollte. Die Frage, wann ich wieder nach Hause kommen würde, beantworte ich lapidar mit: „An einem späten Nachmittag“.
Für mich geht die Reise erst mal weiter. In den amerikanischen Kontinent steige ich bei Vancouver und British Columbia ein. Die Einladung zu einer Sundance Ceremony der Blackfoodindianer legt meine Spiritualität frei. Dann fahre ich weiter durch die USA und halte natürlich an den bekannten Canyons und Nationalparks. Dann Mexico. Baja California. The place to be für jeden Biker. Von Mexico weiter durch Zentralamerika und hier beginnt Neuland für mich. Ich spreche kein Spanisch und bin schlecht vorbereitet. Gut, dass ich in Nicaragua den Mexikaner Armando mit seiner KLR 650 treffe. Wir beide bleiben bis nach Buenos Aires zusammen und ergänzen uns gut. Wir erleben und erfahren viel über das fantastische Kolumbien, die Anden in Peru und Bolivien. Erinnerungen an den Himalaya werden wach. Die Ruta de Lagunas im Südwesten von Bolivien bis zur Grenze nach Chile und Argentinien ist anstrengend überwältigend.
Weiter geht es nach Santiago de Chile. Von dort überqueren wir immer wieder die Grenze zu Argentinien. Meist auf traumhaften Pässen in wunderschönen Landschaften, mit smaragdblauen Seen vor schneebedeckten Gipfeln. Die Bergkette der Anden ist unsere Kompassnadel. Sie zeigt uns den Weg bis zum südlichen Ende der Welt in Ushuaia. Der starke Wind in Patagonien zwingt unsere Motorräder zu permanenter Schräglage. Auf dem Weg nach Norden will uns die Monotonie der Ruta 3 mitten durch die Pampa einschläfern. In Bariloche und dem spektakulären Camino de los Siete Lagos hält mich eine atemberaubende Landschaft wach.

Und jetzt also Buenos Aires. Ich komme eine Woche zu spät. Das Coronavirus hat die Grenzen dicht gemacht. Mein Motorrad wird an einem sicheren Platz geparkt. Ich entscheide mich, nach Deutschland zurückzukehren; es beginnt eine scheinbar endlose Warterei auf einen Flug, der mich nach Deutschland ausfliegen soll. Bis zum letzten Moment weiß niemand, auch ich nicht, wann ich wieder zu Hause sein werde. Ausgangssperre. Meine Welt, die durch Freiheit und Abenteuer geprägt war, ist auf 20 qm eines Zimmers und den Bildschirm meines Laptops geschrumpft, ich bin ausgebremst. Zeit also zum Aufbereiten und Reflektieren. Ein buddhistischer Mönch im Himalaya gab mir den wertvollen Rat: „Zähle nicht die Kontinente, Kulturen und Länder durch die du gefahren bist. Und fahre nicht von A nach B. Sei wachsam und achte vielmehr auf die Natur, die Momente und die Begegnungen, denn das ist es, was zählt. Führe deine Reise fort; im Kleinen und in den einfachen Dingen des Lebens.“
Vor meiner Weiterreise in die Heimat vermischt sich nun tiefe Dankbarkeit mit dem Blues meiner Seele. Sie ist das, was ich auf meiner Reise um die Welt gesucht und gefunden habe. Meine Seele hatte Fernweh und ich bin ihr gefolgt.

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